ADHS im Alltag – Wie Eltern ihre Kinder stärken können
- Charlotte Münstermann
- 19. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Kinder mit ADHS nehmen die Welt auf ihre ganz eigene Weise wahr: intensiver, spontaner, lauter, manchmal auch chaotischer – und gleichzeitig oft so wach, kreativ und voller innerem Feuer.
Viele von ihnen spüren alles ein bisschen mehr – Freude, Frust, Reize – und brauchen Erwachsene, die sie liebevoll halten, ohne sie festzuhalten.
Im Therapiezentrum Godshorn arbeiten wir mit vielen Familien, deren Alltag sich herausfordernder gestaltet als gedacht.
Uns ist dabei wichtig: Kinder mit ADHS brauchen keine Sonderrolle, sondern echte Beziehung, Klarheit und Verständnis.
Dieser Text ist eine Einladung – an dich als Mama oder Papa, Oma oder Opa etc. – dein Kind mit offenem Herzen, innerer Ruhe und sanfter Struktur durch den Alltag zu begleiten.
Struktur ist Geborgenheit
Kinder mit ADHS sehnen sich nach Halt – auch wenn sie ihn manchmal lautstark ablehnen. Struktur ist wie ein sicherer Rahmen, der ihnen hilft, sich selbst besser zu spüren.
Feste Rituale (z. B. morgens beim Aufwachen, nach der Schule, abends beim Zubettgehen) wirken wie innere Anker.
Klare Abläufe schaffen Leichtigkeit. Was jeden Tag gleich bleibt, muss das Gehirn nicht neu verarbeiten.
Visuelle Pläne, Bilder oder kleine Checklisten helfen beim Überblick – und machen Unausgesprochenes sichtbar.
Eine liebevoll reduzierte Umgebung (weniger Deko, gedämpftes Licht, klare Farben) unterstützt die innere Ordnung.
Klare Regeln und Konsequenz – in Verbindung, nicht in Strenge
Kinder mit ADHS testen Grenzen nicht aus Bosheit, sondern weil sie sich rückversichern wollen: Bin ich noch gehalten, auch wenn ich mich verliere?
Formuliere Regeln freundlich und eindeutig:
„Wir räumen gemeinsam auf“ ist hilfreicher als „Du sollst nicht alles rumliegen lassen.“
Konsequenz bedeutet nicht Strafe – sondern Verlässlichkeit. Was heute gilt, sollte auch morgen gelten.
Sei Vorbild. Dein Kind spürt nicht nur deine Worte – sondern auch deine Haltung. Bleib innerlich ruhig, wann immer es dir gelingt.
Gefühle dürfen da sein
ADHS-Kinder spüren viel – und sagen wenig darüber. Oft ist die Wut einfach schneller als die Worte.
Hilf deinem Kind, Worte für seine Gefühle zu finden:
„Ich sehe, du bist gerade sehr wütend.“
Zeig einfache Wege zur Regulation: tiefes Atmen, Wasser trinken, sich einrollen, eine Kuscheldecke, frische Luft.
Erinnere dein Kind immer wieder liebevoll: Du bist nicht deine Wut. Sie kommt – und sie geht auch wieder.
Kinder wollen dazugehören
ADHS bedeutet nicht, dass Kinder weniger wollen – sondern oft mehr: mehr Nähe, mehr Mitbestimmung, mehr Sinn.
Erlaube deinem Kind, sich als wirksam zu erleben.
Bezieh es ein: „Was möchtest du zuerst machen – Zähne putzen oder Schlafanzug anziehen?“
Lobe ehrlich und konkret: „Ich habe gesehen, wie konzentriert du dich bemüht hast – das war stark.“
Kleine Aufgaben (z. B. Tisch decken, etwas vorbereiten) stärken das Gefühl: Ich kann etwas beitragen.
Selbstständigkeit braucht Vertrauen
Zwischen „alles abnehmen“ und „du musst das alleine können“ liegt der Raum, in dem echte Entwicklung stattfindet.
Begleite dein Kind – aber trag es nicht.
Lass es wachsen – aber fang es auf.
Mach Fortschritte sichtbar: Stickerpläne, Reflexionstagebuch, kleine Erfolgsgläser mit Murmeln – finde, was zu euch passt.
Und: Fehler sind gewollt, keine Rückschritte – sie sind Schritte auf dem Weg, nur aus ihnen, können wir lernen.
„Hilf mir, es selbst zu tun.“
-Maria Montessori-
Bewegung bringt Balance
Kinder mit ADHS denken oft mit dem ganzen Körper. Bewegung hilft ihnen, sich selbst zu regulieren – sie brauchen sie wie Luft zum Atmen.
Schaffe Raum für tägliche Bewegung: Trampolin, Hüpfen, Balancieren, Kissenburgen bauen.
Tiefe Reize wie sich in eine Decke einrollen, etwas Schweres tragen oder ein fester Sitzball helfen, ins Körpergefühl zu kommen.
Alternative Sitzmöglichkeiten erlauben Bewegung – ohne stören zu müssen.
Reize achtsam lenken
Viele Kinder mit ADHS sind offen wie Antennen. Alles kommt ungefiltert an.
Ein bewusster Umgang mit der Umgebung kann helfen, den Alltag sanfter zu gestalten.
Reduziere Reize bewusst: wenig Geräusche, klare Lichtverhältnisse, Rückzugsorte.
Für Hausaufgaben oder Abendroutinen kann ein klarer, reizfreier Ort Wunder wirken.
Signale wie ein „Ich-möchte-jetzt-nicht-stören-Licht“ können helfen, Grenzen sichtbar zu machen – ohne Worte.
Mehr Begleitung – weniger Bewertung
Ein Kind mit ADHS braucht oft mehr: mehr Geduld, mehr Präsenz, mehr Wiederholungen.
Doch vor allem braucht es eines:
Einen Menschen, der bleibt – auch wenn es stürmt.
Jemanden, der nicht weicht, wenn die Emotionen hochkochen.
Der nicht bewertet, sondern hält.
Der nicht mit Strenge reagiert, sondern mit Klarheit.
Denn so wild ein Tag auch sein mag – am Ende sucht dein Kind nur eins: Verbindung. Und in dieser Verbindung wächst Vertrauen.
Vertrauen, das sagt:
„Ich bin okay – auch wenn ich nicht immer funktioniere.“
„Ich darf sein, wie ich bin – und du bleibst.“
Dein Kind ist nicht schwierig – es hat es manchmal nur schwer.
Es ist nicht falsch – es funktioniert nur anders.
Wenn du dich müde fühlst
Manchmal fühlt sich der Alltag mit ADHS an wie ein endloser Balanceakt.
Wenn du das Gefühl hast, deine Kraft reicht nicht mehr aus, dann darfst auch du dir Unterstützung holen.
Im Therapiezentrum Godshorn begleiten wir auch euch als Angehörige – mit Erfahrung, Empathie und offenem Blick.
Herzliche Grüße
Deine Charlotte
🛡️ Rechtlicher Hinweis:
Die Inhalte dieses Textes beruhen auf meinem fachlichen Wissen als Ergotherapeutin sowie auf meinen persönlichen Erfahrungen aus meiner täglichen Arbeit . Dieser Text dient der allgemeinen Information und ersetzt keine ärztliche Diagnose, Beratung oder Behandlung. Es wird kein Heilversprechen gegeben. Der Nutzen einer ergotherapeutischen Maßnahme ist individuell verschieden und hängt vom jeweiligen Einzelfall ab.